Interview mit der österreichischen Botschafterin in China Dr. Irene Giner-Reichl: Chinas Rezept kann in Ländern entlang der Landroute der “Ein Gürtel, eine Straße” -Strategie angewandt werden
BEIJING, 18. März 2016 (Xinhuanet) -- Während der chinesischen “Zwei Tagungen” des Jahres 2016 wurde die Botschafterin der Republik Österreich in der Volksrepublik China zu einem Exklusivinterview mit Xinhuanet eingeladen. Sie meint, dass beim Ausbau der Infrastruktur im Inneren die Kräfte des Entrepreneurships, des Unternehmertums, auch des kleinen Unternehmertums ins Spiel kommen können und die Wirtschaft kann starten. Diese Erfahrungen, die China im Inneren seit Jahren gesammelt hat, könnten auch in den Ländern entlang der Landroute von der “Ein Gürtel, eine Straße“-Strategie eingesetzt werden.
Dr. Irene Giner-Reichl,österreichische Botschafterin in China (Xinhuanet/Xu Xin)
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1.In der letzten Woche eröffneten die jährlich stattfindenden Tagungen des NVK & PKKCV. Die beiden Jahrestagungen werden übrigens in China “zwei Tagungen” genannt. Die Zwei Tagungen sind ein wichtiges Fenster, um etwas über Chinas zukünftige Entwicklung zu erfahren. Frau Botschafterin, als die direkteste Verbindung zwischen Österreich und China, welche Themen auf den Sitzungen interessieren Sie? und Warum?
Giner-Reichl: Es gibt natürlich viele interessante Themen, wir analysieren die Arbeit des Nationalen Volkskongresses sehr genau auch im Rahmen der Europäischen Union. Besonders interessant für mich sind die Anstrengungen Chinas, sozial ausgewogenen und gleichberechtigt verteilten Wohlstand für alle Chinesen und Chinesinnen bereitzustellen. Ich finde, die Zielsetzung, die China für das Jahr 2020 hat, dass alle Chinesinnen und Chinesen bescheidenen Wohlstand “小康社会” erreichen sollen, ist eine sehr schöne Zielsetzung, und ich hoffe, dass sie erreicht werden kann. Und auch für 2049, die Zielsetzung, dass Gesamtchina eine entwickelte Volkswirtschaft sein soll, ist eine sehr groß angelegte, ambitionierte und schöne Zielsetzung, die natürlich auch stark mit dem “chinesischen Traum” zusammenhängt, den Präsident Xi Jinping formuliert hat. Ich glaube, es ist wirklich nötig, immer wieder anerkennend zu sagen, wie viele Menschen China aus der Armut geholt hat, wie kein anderes Land.
Interessant für uns in den letzten Wochen war auch, dass das Gesetz gegen Gewalt in der Familie am 1. März in China in Kraft getreten ist, und ich möchte China sehr zu diesem Gesetz beglückwünschen. Das ist ein mutiges und weitreichendes Gesetz und wie jetzt auch die Verantwortlichen in China selbst betonen, der nächste Schritt ist die Umsetzung, und diese Umsetzung ist immer schwierig. Wir haben gefunden, dass die Mitwirkungen der organisierten Zivilgesellschaft sehr wichtig sind, weil in unseren Gesellschaften sonst die Stimmen der Betroffenen oft nicht ausreichend gehört werden können.
Die österreichische Botschafterin in China Dr. Irene Giner-Reichl (l.) beim Exklusivinterview mit Xinhuanet (Xinhuanet/Xu Xin)
2.Dieses Jahr ist das erste Jahr in der Periode des 13. Fünfjahresplans und nach diesem Plan wird Innovation in den Mittelpunkt von Chinas Entwicklung gerückt. Die Innovationen beziehen sich auf die Theorie, die Institutionen, die Wissenschaft und Technologie, und auch auf die Kultur. In welchen Bereichen sind die Innovationsreformen in China aus Ihrer Sicht besonders dringend?
Giner-Reichl: Wir sehen mit großem Interesse, dass die Innovation im 13. Fünfjahresplan so betont wird. Wir glauben, dass es auch im Kulturbereich sehr gute Anwendungen dafür gibt. Die kulturelle Zusammenarbeit ist sehr lebendig zwischen Österreich und China. Viele Chinesen schätzen vor allem klassische Musik im Zusammenhang mit Österreich. Es gibt auch eine weitere Entwicklung in der Kultur, die in den Gegenwartsbereich hineinreicht. Da, glaube ich, gibt es viele Möglichkeiten. Aber natürlich ist Innovation auch für die Zusammenarbeit in der Wirtschaft von großer Bedeutung. Und Sie wissen ja, dass China und die EU im Augenblick das Investitionsschutzabkommen verhandeln. Ich denke, dass es dann fertig verhandelt sein wird, dass es auch sehr gut für beide Seiten sein wird und auch einen Innovationsschub auf beiden Seiten auslösen wird.
Ein Bereich, der auch bei den “Zwei Versammlungen” (zwei Tagungen) sehr betont wurde, ist der Bereich des Umweltschutzes, des Umgangs mit Naturgütern und des nachhaltigen Umgangs. Und auch da glaube ich, dass es auch sehr viele Möglichkeiten für Innovationen gibt. Österreich und die EU haben bereits sehr viele Erfahrungen und auch sehr gute Technologien und sehr gute Abläufe im Umgang mit den Problemen der Umweltverschmutzung entwickelt.
Wir waren vor einigen Jahrzehnten mit sehr ähnlichen Problemen konfrontiert wie China es jetzt ist, und ich denke, dass wir uns austauschen, voneinander lernen und hier innovative Formen der Zusammenarbeit finden können. Was im engeren Sinne die Zusammenarbeit zwischen Österreich und China, zwischen der EU und China z. B. im Bereich Wissenschaft und Forschung angeht, hat China im Dezember 2014 neue Richtlinien für staatliche Förderprogramme im Bereich Wissenschaft und Technologie erlassen. Wir glauben, dass diese neuen Richtlinien und dieses neue Rahmenkonzept auch gut geeignet sind, um z. B. gemeinsame Forschungsvorhaben zu unterstützen.
3. Die chinesische Wirtschaft hat jetzt einen neuen Zustand der „neuen Normalität“ erreicht, mit einem Gangwechsel vom hohen zum mittelhohen Wachstum, von einem weiten Modell, das Größe und Geschwindigkeit betont, hin zu einem intensiveren Modell, das Qualität und Effizienz betont. Derzeit setzt die chinesische Regierung die angebotsseitige Reform um. Welche Herausforderungen, denken Sie, stehen China in diesem Prozess bevor?
Giner-Reichl: Als Erstes ist das Problem der Überkapazitäten zu nennen. Es geht um die Reformen der staatseigenen Betriebe, um die marktmäßige Fakturierung der Produktions-Inputskosten, das Zulassen von Konkursen von Firmen, die nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Das sind schwierige Prozesse in jeder Volkswirtschaft und nicht nur in der chinesischen, sondern auch in der europäischen Volkswirtschaft. Für jede Volkswirtschaft ist es auch schwierig, wenn es zu Arbeitslosigkeit kommt. Bei Umstrukturierungsmaßnahmen in dieser Größenordnung ist es fast unausweichlich, dass es zu Freisetzung von Arbeitskräften kommt. Ich glaube es ist sehr wichtig, dass gute soziale Netze schon vorbereitet sind, damit die Arbeiter, die entlassen werden, nicht ins Bodenlose fallen. Ich bin froh, dass ich in der Rede von Ministerpräsident Li Keqiang gelesen habe, dass große Summen und die Umsiedlung von Arbeitern von der chinesischen Regierung bereitgestellt werden. Ich nehme auch wohl an, dass das Training und die neuen Ausbildungsmöglichkeiten für Arbeiter, die freigesetzt werden müssen, von der chinesischen Regierung vorgesehen werden.
4. Wie Sie gerade erwähnt haben, gibt es viele schwere Aufgaben, die vor der Entwicklung von China stehen. Aber wir können auch sehen, dass die Fundamentaldaten der chinesischen Wirtschaft grundsätzlich positiv sind. Chinas Wirtschaft wird immer noch als Antrieb für die Entwicklung der globalen Wirtschaft betrachtet. Sind Sie auch zuversichtlich auf Chinas Wirtschaft in der Zukunft?
Giner-Reichl: Ich glaube die chinesische Volkswirtschaft hat viele Stärken, viele hervorragend ausgebildete Führungskräfte und hochmotivierte Mitarbeiter auf allen Ebenen. Ich bin sicher, dass die chinesische Führung alles, was irgendwie möglich ist, machen wird, um diesen Prozess der Transformation erfolgreich zum Ende zu bringen.
5. Was auch die Wirtschaft betrifft, wird auch die Öffnung berücksichtigt. In den letzten Jahren hat China auch die Öffnungspolitik durchgesetzt. Im Jahr 2013 enthüllte Staatspräsident Xi die „Ein Gürtel, eine Straße“-Strategie, nämlich zur Errichtung des Seidenstraßenwirtschaftsgürtels und der maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts. Was ist Ihre Meinung über diese Initiative?
Giner-Reichl: Ich sehe diese Initiative als eine sehr strategische sowohl außenpolitisch als auch außenwirtschaftspolitisch. Bezüglich der außenwirtschaftspolitischen Dimension denke ich, dass der Ausbau der Infrastruktur entlang der Landroute, also „One Belt“/„一带“ sehr notwendig ist, weil die Entwicklung der Länder entlang dieser Landroute durch die fehlende Infrastruktur sehr behindert wird. Das Rezept hat China im Inneren seit Jahren angewendet. Beim Ausbau der Infrastruktur im Inneren können die Kräfte des Entrepreneurships, des Unternehmertums, auch des kleinen Unternehmertums wirklich ins Spiel kommen und die Wirtschaft kann starten. Deshalb könnte dieses gleiche Rezept auch in den Ländern entlang der Landroute eingesetzt werden. Außerdem könnte auch die wirtschaftliche Entwicklung in den Provinzen angekurbelt werden, die jetzt noch etwas nachhinken, also die chinesischen Provinzen im Westen. Die würden durch die Landroutenentwicklung auch stärker in den Handel, in den Austausch, in die Investitionen usw. eingebunden werden, die entlang dieser Landroute führen. Diese Schaffung und Haltung von Wohlstand könnten auch zur Stabilität in der Region und auch in China beitragen.
Von Seiten der EU gesehen, ist die Initiative „一带一路“ eine sehr wichtige Initiative. Da geht es uns vor allem darum eine gute Schnittstelle mit „One Belt, One Road“ zu entwickeln. Die europäischen Netze, die den Ausbau der Infrastruktur von europäischer Seite her gut mit der Infrastruktur von China her in Einklang bringen. Es sind sozusagen zwei Bewegungen des Infrastrukturausbaus, die sich aufeinander bewegen, beziehungsweise die transeuropäischen Netze vom Westen nach Osten und die chinesische Initiative „一带一路“ vom Osten nach Westen.
Österreich hat traditionell eine große Expertise und eine große Präsenz in den Ländern Zentral- und Osteuropas, den Ländern Südosteuropas und auch in weiterer Folge in Zentralasien. Wir erwarten uns von der chinesischen Initiative einerseits eine Belebung des Handels und der wirtschaftlichen Aktivitäten in diesen Regionen, was auch für Österreich gut ist. Andererseits glauben wir, dass wir durch die Expertise und durch die langjährigen Erfahrungen in diesen Regionen auch ein guter Partner für China sein können, um in diesen Ländern entlang des Landweges der Seidenstraße auch gemeinsame Projekte durchzuführen.
6. Im Rahmen der „Ein Gürtel, eine Straße“-Strategie wird auch die Zusammenarbeit im Bereich der Energie berücksichtigt. Wir haben auch erfahren, dass Sie sich auch mit dem Bereich der Umwelt und Energie beschäftigt haben, und Sie haben auch ein Buch über den Klimawandel in Afrika mitverfasst. China hat die Entwicklungskonzepte Innovation, Kooperation, grüne Entwicklung, Öffnung und gemeinsamen Vorteil vorgebracht und versprochen, diese Konzepte unermüdlich umzusetzen. Hinsichtlich der grünen Entwicklung, welche fortgeschrittenen Erfahrungen, Technologien oder Entwicklungskonzepte aus Österreich können mit China geteilt werden?
Giner-Reichl: Also sehr viele. Aber es ist immer eine Frage des Teilens der Technologie und findet heutzutage nicht so sehr über die staatliche Ebene statt, sondern ist etwas was im Zusammenwirken zwischen Unternehmen vor allem passiert. Österreich hat im Energiebereich den Vorteil, dass wir sehr viel erneuerbare Energie haben. Unsere Stromversorgung basiert zur Zeit zu einem sehr hohen Prozentsatz auf erneuerbaren Energien, nämlich Wasserkraft, unser Land hat Berge, Täler und Flüsse. Dadurch ist die Wasserkraft für uns eine leicht zu benutzende Quelle.
Wir haben auch durch Regelwerke, Gesetze, Vorschriften, und auch durch EU-weite Regelwerke und Programme die Förderung der erneuerbaren Energien, wie Biomasse, Photovoltaik, Solarthermie, Windenergie vorangetrieben. Wir haben gute Technologien einerseits in diesem Bereich, aber wir können auch Gesamtkonzepte präsentieren, die wir in unserem Bereich umgesetzt haben und wo wir uns darüber austauschen und miteinander diskutieren können. Es gibt in Österreich zum Beispiel Klimastädte und Klimaregionen. Es sind Städte und Regionen, die sich verpflichtet haben, gewisse Ziele umzusetzen und dazu beizutragen, dass die globale Erwärmung nicht weiter fortschreitet und gewisse moderne Energiekonzepte im jeweiligen Bereich verwirklicht werden. Da geht es nicht nur darum, eine Technologie anzuwenden, es geht darum, die ganzen Abläufe in einem Dorf, in einer Stadt zu verändern. Wir haben auch die Exportinitiative Umwelttechnologie in Österreich. Da war China in den letzten Jahren viermal Zielland dieser Initiative und im Herbst 2016 wird der Bundesminister für Umwelt und Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Wasserwirtschaft, Andrä Rupprechter, auch wieder nach China kommen und wieder diese Umwelttechnologie-Initiative vorstellen. Wir werden Gelegenheit haben mit den entsprechenden chinesischen Partnern zu sprechen.
7. Frau Botschafterin, was ist ihr Kommentar zu der Entwicklung zwischen beiden Ländern in den letzten Jahren?
Giner-Reichl: Ich freue mich sehr über die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Wir haben große Fortschritte in vielen Bereichen gemacht. Wenn ich einmal mit Wissenschaft und Technologie beginne, da haben wir sehr interessante Programme laufen, mit den Schwerpunkten kohlenstoffarme Technologien, Umwelttechnologien, neue Materialien, erneuerbare Energien usw. Auch gemeinsame Forschungsprojekte in schwierigen und hoch technologisierten Bereichen, wie Nanotechnologie machen China und Österreich gemeinsam. Wir haben einen sehr intensiven Kulturaustausch. Politisch sind unsere Beziehungen auf ausgezeichnetem Zustand. Den letzten Höhepunkt hatten wir im März 2015 mit dem Staatsbesuch von Bundespräsident Fischer in Peking. Er hat auch am Boao Forum teilgenommen. Eines der wichtigsten Gesprächsthemen zwischen ihm und Xi Jinping war die Seidenstraßeninitiative, die Mitwirkung Österreichs daran. Wir sind auch ein Mitglied geworden bei der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank. Wir sind von allem Anfang an dabei. Dieses Jahr hoffen wir auch, dass wir die Beziehungen weiter ausbauen können und ich bin zuversichtlich, dass es auch gelingen wird.