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Feature: Angela Merkel, eine deutsche „Mutti“-Figur für die EU

German.xinhuanet.com | 26-09-2017 14:14:33 | 新华网

BERLIN, 25. September (Xinhuanet) -- Wie allgemein erwartet, hat Angela Merkels Union-Partei am Sonntag erneut Deutschlands alle vier Jahren stattfindenden Bundestagswahlen gewonnen, indem sie 32,5 Prozent aller Stimmen erlangte.

Die deutsche Bundeskanzlerin der letzten 12 Jahre wird von vielen Deutschen als eine kompetente „Mutti“ betrachtet, der deutsche Ausdruck für „Mama“, die ihre „Kinder“, nämlich Deutsche und möglicherweise Europäer, davor bewahrt, vom Weg abzukommen, inmitten von einer Reihe von Krisen, welche die Europäische Union beinahe dem Untergang geweiht hatten.

PARADOX DES STREBENS NACH MACHT UND AUFRECHTERHALTUNG VON PRINZIPIEN

Merkel, 63, hat als eine Art Feuerwehrfrau bei der Bekämpfung der globalen Finanzkrise, Eurokrise und Flüchtlingskrise gedient. Ohne ins Chaos zu stürzen, erfreut sich Deutschland eines rasanten Wachstums und der niedrigsten Arbeitslosenquote nach seiner Wiedervereinigung 1990. Auch sein Einfluss bei globalen Angelegenheiten ist gestiegen.

Während Merkels Errungenschaften weithin anerkannt wurden, hat ihre Flüchtlingspolitik auch heftige Kritik hervorgerufen. Sie hat einen „bedingungslosen Willen zur Macht“ aber weigert sich paradoxerweise ihre Prinzipien trotz politischer Risiken aufzugeben.

Merkel, eine talentierte Sprachlernerin, eine Aficionado von Richard Wagner bei den Bayreuther Festspielen, ein überzeugter Fußballfan, die im Bundestag Spiele verfolgt, war auch stellvertretende Sprecherin der letzten Ostdeutschen Regierung, Ministerin eines vereinten Deutschlands und Oppositionsführerin. Im Jahr 2005 schaffte sie es endlich auf den höchsten politischen Posten in Deutschland und sogar in ganz Europa.

Politische Beobachter finden, dass ihre Karriere und ihr Charakter zwei paradoxe Merkmale aufweisen – das Streben nach Macht unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Prinzipien.

Auf ihrem Büroschreibtisch steht ein Porträt der russischen Zarin Katharina der Großen. Obwohl Merkel exzessive Interpretationen zurückweist, schreibt ihr offizieller Biograf, dass sie, wie Katharina, eine Politik im Geist der Aufklärung verfolgt und es liebt, Politik mit dem Ziel zu betreiben, ihre Autorität zu vergrößern.

„Angela Merkel hat einen bedingungslosen Willen zur Macht“, sagte der verstorbene politische Kommentator Gerd Langguth.

In ihrem politischen Leben hat Merkel Vertrauenspersonen zurückgelassen, wenn sie in der Öffentlichkeit oder bei mächtigen Politikern an Gunst verloren. Sie kam ihren beiden Wohltätern nicht zur Hilfe, beides Minister, die wegen Skandalen zurücktreten mussten, sondern übernahm die jeweiligen Rollen der beiden Männer in der Partei.

Deutschlands Nutzen von Zögerung als Druckmittel bei der Rettung von Griechenland in der Eurokrise und sein Willen, eine deutsche Art der Europäischen Union (EU) durchzusetzen, haben dazu geführt, dass der verstorbene deutsche Soziologe Ulrich Beck Merkel „Merkiavelli“ nannte.

Allerdings besteht die deutsche Bundeskanzlerin trotz politischer Risiken auf ihren Werten und Prinzipien. Als sie vor Mitte 2015 vor enormen Flüchtlingsströmen stand, die vor Krieg und Terrorismus flohen, entschloss sich Merkel, die deutschen Grenzen zu öffnen und sie aufzunehmen. Die Nachkommin einer polnischen Immigrantenfamilie sagte vor einer wütenden Menschenmenge in Dresden, dass Deutschland „eine moralische Pflicht“ habe, ihnen zu helfen.

Doch dies war von einer verschlechterten Sicherheitssituation im Inland und einem Fall der CDU in Umfragen gefolgt. Zugestehend, dass ihre Flüchtlingspolitik teilweise inkorrekt war, wiederholte Merkel jedoch, dass ihre Entscheidung als Reaktion auf eine „humanitäre Ausnahme“ korrekt gewesen sei.

Ihre „Wilkommenspolitik“ während der Flüchtlingskrise führte zu heftiger Kritik aus einigen zentral- und osteuropäischen Staaten. Sogar im Inland drohte ihr traditioneller Verbündeter in Bayern, die Christlich-Soziale Union (CSU), die Partnerschaft mit der CDU zu beenden, doch Merkel weigerte sich, ihre Meinung zu ändern.

Stattdessen sagte sie in ihrer Neujahrsansprache 2016: „Es kommt darauf an, auch in Zukunft ein Land sein zu wollen, in dem wir selbstbewusst und frei, mitmenschlich und weltoffen sind.“

Einige internationale Medien, auch jene, die Merkel gegenüber skeptisch waren, lobten ihren Mut. Der Economist schrieb „Merkel mag die mächtigste Politikerin in Europa sein, doch sie hat nur selten eine Neigung zu mutiger Führung gezeigt … In einer Krise, in der Europa nur auf wenig stolz sein kann, ist Merkels Führung eine strahlende Ausnahme.“

SYMBOL DES NEUEN UND ALTEN DEUTSCHLAND

In 12 Jahren im Amt hat sich Merkel gestählt und wurde immer erfahrener. Viele Deutsche haben sich an ihre Kanzlerschaft gewöhnt und sehen sie fast als ein Familienmitglied, daher auch der Spitzname „Mutti“. Manchmal zeigt „Mutti“ ihre volksnahe Seite, zum Beispiel wenn sie den Medien erzählt, wie man ihre Lieblingskartoffelsuppe macht.

Dank ihren Beratern wurde Merkels Image als traditionelle Mutter kultiviert, die ihre Kinder davor bewahrt, vom Weg abzukommen, indem sie ihnen ihre moralischen Prinzipien weitergibt und ihnen wirtschaftliche Mittel verleiht.

In seiner Biografie von Merkel schrieb der britische politische Kommentator Matthew Qvortrup, dass sie in gewisser Weise die Personifizierung von Deutschland in der Nachkriegsära sei, ein Deutschland, dass sehr anders ist als jenes, das oft mit „Blut und Boden“-Nationalismus verbunden wird.

Auch Merkel ist der Überzeugung von einem starken Deutschland, doch an eines, dass seine Macht auf eine andere Weise verwendet: ein Land, dass als Leuchtfeuer und Modell für die Welt dient, anstelle einer militaristischen und imperialistischen Macht.

Diese Idee kann erklären, warum Merkel Flüchtlinge begrüßt, trotz vieler Einwände aus dem In- und Ausland und erklärt teilweise, warum sie, und nicht eine französische oder britische Führung, der Chefverhandler mit Russland in der Ukraine-Krise wurde, obwohl Deutschland keinen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat hat.

Die Welt reagierte unterschiedlich auf Merkel und das „neue Deutschland“ unter ihrer Führung. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban beschuldigte Deutschland des Strebens nach „moralischem Imperialismus“ und das Time Magazine kürte Merkel im Jahr 2015 zur Person des Jahres „für die standhafte moralische Führung in einer Welt, in der es an dieser mangelt.“

Allerdings repräsentiert Merkel auch das ältere Deutschland, da ihre Werte von den Philosophen des 18. Jahrhunderts Immanuel Kant und Wilhelm von Humboldt stammen, aus dem „alten Deutschland“, einer Verkörperung der pervertierten Ideen der Großartigkeit und des nationalen Chauvinismus.

Trotz der Unbeständigkeiten steht das „neue Deutschland“ vor einem Paradox, dass das „alte Deutschland“ nicht lösen konnte: Deutschland war zu stark, um in Europa integriert zu werden, jedoch zu schwach, um anderen Länder seine Werte aufzuerlegen.

Wie Deutschland mit seiner sogenannten „Halb-Hegemonie“ umgeht, wird langfristigen Einfluss auf den zukünftigen Pfad des „neuen Deutschland“ und Europa haben.

(gemäß der Nachrichtenagentur Xinhua)

 

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