Käthe Kollwitz in Beijing – kreatürlich, existenziell, sozial

BEIJING, 18. November (Xinhuanet ) -- „Ich bin einverstanden, dass meine Kunst Zweck hat." Käthe Kollwitz (1867-1945) erschütterte als eine der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts ganz Deutschland und über sämtliche Grenzen hinweg. So auch in China. Heute bewegt sie wieder – In einer großen Ausstellung mit ihren Werken im National Art Museum in Beijing unter dem Titel „Der Mensch – kreatürlich, existenziell, sozial". 

Die hier gezeigte Spannweite der Arbeiten von Käthe Kollwitz ist enorm. Sie reicht von den großen Themen des Todes, von Krieg und Mutterschaft bis hin zu kritischen Selbstreflexionen. Das umfassende plastische Œuvre wird ergänzt durch proletarische Plakate, die graphischen Zyklen und Porträts – stets in ihrem ganz eigenen Stil, der zwischen realistischer und expressiver Ausdrucksweise in seiner reinen Art schwankt, die gänzlich ohne Beiwerk auskommt. Abgerundet wird die Ausstellung durch Schriftdokumente und Briefe.

Kollwitz ist seit den 1930er Jahren in China wohlbekannt, was vor allem Lu Xun zu verdanken ist. In dieser Zeit des japanischen Imperialismus in China suchte der berühmte chinesische Schriftsteller nach einem Weg, um seine Mitmenschen aufzurütteln und zum geschlossenen Verhalten aufzurufen. Angesichts der hohen Zahl an Analphabeten in China wurde sich Lu Xun der Bedeutung des modernen Holzschnittes bewusst, für den es in Europa zahlreiche Vorbilder gab. Insbesondere die deutsche Käthe Kollwitz begeisterte ihn sowohl stilistisch als auch thematisch. Mit ihrem Wahlspruch „ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind" sprach sie ihm aus der Seele.

Käthe Kollwitz' Werke sind erbarmungslos realistisch und entspringen ihrer unmittelbaren Erfahrung. Oftmals eckte sie an. So wurden etwa ihre Radierungen, die bar jeder Beschönigung das Schicksal der Weber reflektierten, von Kaiser Wilhelm II. als „Rinnsteinkunst" verurteilt. Zu weit waren ihre Grafiken von dem damals noch geläufigen Historismus und der Salonmalerei des Großbürgertums entfernt. Kollwitz machte sich für die kleinen Leute, das Proletariat, stark und bekannte sich zum Sozialismus. Ihrer Auffassung nach sollte Kunst darauf ausgerichtet sein, soziale Bedingungen aufzuzeigen. So sind die Themen gesellschaftliche Unterdrückung, Not und Hunger in ihrer Kunst allgegenwärtig. Die symbolische Kaltnadelradierung „Aus vielen Wunden blutest du, o Volk" gilt als exemplarisch: Die sich am Schwert abstützende Figur des Rächers kann als Gestalt der Revolution verstanden werden, der Befreier des gedemütigten Volkes. Dieses wird durch zwei gefesselte Frauen und den liegenden Leichnam vergegenwärtigt. – Ihre sozialkritische Einstellung hielt sie auch in den Folgejahren aufrecht. Später engagierte sie sich für die Bildung einer einheitlichen Arbeiterfront, womit sie ins Blickfeld der Nationalsozialisten rückte.

Lu Xun schrieb später: „Käthe Kollwitz ist eine gute Künstlerin. Ein Beweis dafür ist auch, dass sie von manchen gelobt, von manchen angegriffen und von manchen verteidigt wird." Er vertrat die Auffassung, Kollwitz' Werke spiegelten auf poetische Weise die Trauer der armen Menschen wieder, was nur möglich sei, da sie sich mit den Unterdrückten identifiziere und sich voller Zorn den Ungerechtigkeiten widersetze.

So unbarmherzig, wie Käthe Kollwitz mit der sie umgebenden Gesellschaft ins Gericht ging, setzte sie sich auch Selbstreflexionen aus. Die Ausstellung in Beijing präsentiert eine Auswahl der für ihr Werk typischen Selbstdarstellungen. Die Grafiken und Skulpturen zeigen sie als nachdenkliche Frau, grübelnd die Hand aufgestützt, oder bereits in fortgeschrittenem Alter im Profil, als trete sie von einer Bühne ab.

Weniger kritisch, sondern vielmehr voller Bewunderung, betrachteten Zeitgenossen die deutsche Grafikerin. Eine tiefe Freundschaft verband sie mit dem Bildhauer Ernst Barlach, der gleichermaßen eine Formensprache für Fragen des Existenziellen entwickelte. So schwebt über den in Beijing ausgestellten Werken sein sogenanntes „Güstrower Ehrenmal" von 1927, eine monumentale Engelsfigur. Diese trägt auf unverkennbare Weise die Gesichtszüge von Käthe Kollwitz.

Die Ausstellung ist ein beachtliches Gesamtkunstwerk, das nur durch die Zusammenarbeit und die Leihgaben vieler Einrichtungen ermöglicht wurde. Beigetragen haben mitunter die Stiftung Deutsches Historisches Museum zu Berlin, das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, die Kunsthalle zu Kiel, das Landesmuseum Schloss Gottorf und zahlreiche Privatsammlungen. Die Freie Universität zu Berlin kuratierte, die Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen kulturellen Austausch koordinierte. Besondere Unterstützung kam der Ausstellung überdies durch die Botschaft der Volksrepublik China in Berlin und die deutsche Botschaft in Beijing zu. Die Veranstalter knüpfen an eine lange Tradition des Kulturaustauschs an. Im Jahr 1979 wurde die erste Kunstausstellung im Rahmen des deutsch-chinesischen Kulturabkommens in Beijing Käthe Kollwitz gewidmet. Im darauf folgenden Jahr revanchierte man sich von chinesischer Seite mit der Ausstellung „Lu Xun – Zeitgenosse" in Berlin. 25 Jahre später ist die Faszination für die deutsche Grafik ungebrochen.

Text und Fotos: Miriam Nicholls

 (Quelle: german.cri.cn)

 

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Käthe Kollwitz in Beijing – kreatürlich, existenziell, sozial

GERMAN.XINHUA.COM 2015-11-18 14:47:49

BEIJING, 18. November (Xinhuanet ) -- „Ich bin einverstanden, dass meine Kunst Zweck hat." Käthe Kollwitz (1867-1945) erschütterte als eine der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts ganz Deutschland und über sämtliche Grenzen hinweg. So auch in China. Heute bewegt sie wieder – In einer großen Ausstellung mit ihren Werken im National Art Museum in Beijing unter dem Titel „Der Mensch – kreatürlich, existenziell, sozial". 

Die hier gezeigte Spannweite der Arbeiten von Käthe Kollwitz ist enorm. Sie reicht von den großen Themen des Todes, von Krieg und Mutterschaft bis hin zu kritischen Selbstreflexionen. Das umfassende plastische Œuvre wird ergänzt durch proletarische Plakate, die graphischen Zyklen und Porträts – stets in ihrem ganz eigenen Stil, der zwischen realistischer und expressiver Ausdrucksweise in seiner reinen Art schwankt, die gänzlich ohne Beiwerk auskommt. Abgerundet wird die Ausstellung durch Schriftdokumente und Briefe.

Kollwitz ist seit den 1930er Jahren in China wohlbekannt, was vor allem Lu Xun zu verdanken ist. In dieser Zeit des japanischen Imperialismus in China suchte der berühmte chinesische Schriftsteller nach einem Weg, um seine Mitmenschen aufzurütteln und zum geschlossenen Verhalten aufzurufen. Angesichts der hohen Zahl an Analphabeten in China wurde sich Lu Xun der Bedeutung des modernen Holzschnittes bewusst, für den es in Europa zahlreiche Vorbilder gab. Insbesondere die deutsche Käthe Kollwitz begeisterte ihn sowohl stilistisch als auch thematisch. Mit ihrem Wahlspruch „ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind" sprach sie ihm aus der Seele.

Käthe Kollwitz' Werke sind erbarmungslos realistisch und entspringen ihrer unmittelbaren Erfahrung. Oftmals eckte sie an. So wurden etwa ihre Radierungen, die bar jeder Beschönigung das Schicksal der Weber reflektierten, von Kaiser Wilhelm II. als „Rinnsteinkunst" verurteilt. Zu weit waren ihre Grafiken von dem damals noch geläufigen Historismus und der Salonmalerei des Großbürgertums entfernt. Kollwitz machte sich für die kleinen Leute, das Proletariat, stark und bekannte sich zum Sozialismus. Ihrer Auffassung nach sollte Kunst darauf ausgerichtet sein, soziale Bedingungen aufzuzeigen. So sind die Themen gesellschaftliche Unterdrückung, Not und Hunger in ihrer Kunst allgegenwärtig. Die symbolische Kaltnadelradierung „Aus vielen Wunden blutest du, o Volk" gilt als exemplarisch: Die sich am Schwert abstützende Figur des Rächers kann als Gestalt der Revolution verstanden werden, der Befreier des gedemütigten Volkes. Dieses wird durch zwei gefesselte Frauen und den liegenden Leichnam vergegenwärtigt. – Ihre sozialkritische Einstellung hielt sie auch in den Folgejahren aufrecht. Später engagierte sie sich für die Bildung einer einheitlichen Arbeiterfront, womit sie ins Blickfeld der Nationalsozialisten rückte.

Lu Xun schrieb später: „Käthe Kollwitz ist eine gute Künstlerin. Ein Beweis dafür ist auch, dass sie von manchen gelobt, von manchen angegriffen und von manchen verteidigt wird." Er vertrat die Auffassung, Kollwitz' Werke spiegelten auf poetische Weise die Trauer der armen Menschen wieder, was nur möglich sei, da sie sich mit den Unterdrückten identifiziere und sich voller Zorn den Ungerechtigkeiten widersetze.

So unbarmherzig, wie Käthe Kollwitz mit der sie umgebenden Gesellschaft ins Gericht ging, setzte sie sich auch Selbstreflexionen aus. Die Ausstellung in Beijing präsentiert eine Auswahl der für ihr Werk typischen Selbstdarstellungen. Die Grafiken und Skulpturen zeigen sie als nachdenkliche Frau, grübelnd die Hand aufgestützt, oder bereits in fortgeschrittenem Alter im Profil, als trete sie von einer Bühne ab.

Weniger kritisch, sondern vielmehr voller Bewunderung, betrachteten Zeitgenossen die deutsche Grafikerin. Eine tiefe Freundschaft verband sie mit dem Bildhauer Ernst Barlach, der gleichermaßen eine Formensprache für Fragen des Existenziellen entwickelte. So schwebt über den in Beijing ausgestellten Werken sein sogenanntes „Güstrower Ehrenmal" von 1927, eine monumentale Engelsfigur. Diese trägt auf unverkennbare Weise die Gesichtszüge von Käthe Kollwitz.

Die Ausstellung ist ein beachtliches Gesamtkunstwerk, das nur durch die Zusammenarbeit und die Leihgaben vieler Einrichtungen ermöglicht wurde. Beigetragen haben mitunter die Stiftung Deutsches Historisches Museum zu Berlin, das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, die Kunsthalle zu Kiel, das Landesmuseum Schloss Gottorf und zahlreiche Privatsammlungen. Die Freie Universität zu Berlin kuratierte, die Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen kulturellen Austausch koordinierte. Besondere Unterstützung kam der Ausstellung überdies durch die Botschaft der Volksrepublik China in Berlin und die deutsche Botschaft in Beijing zu. Die Veranstalter knüpfen an eine lange Tradition des Kulturaustauschs an. Im Jahr 1979 wurde die erste Kunstausstellung im Rahmen des deutsch-chinesischen Kulturabkommens in Beijing Käthe Kollwitz gewidmet. Im darauf folgenden Jahr revanchierte man sich von chinesischer Seite mit der Ausstellung „Lu Xun – Zeitgenosse" in Berlin. 25 Jahre später ist die Faszination für die deutsche Grafik ungebrochen.

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