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Fliegender Pinselstrich der Kalligraphie

German.xinhuanet.com | 23-05-2016 14:34:16 | Xinhuanet

Rhythmus der Kalligraphie

Mittherbst von Wang Xianzhi (344-386) – ein wertvolles Werk der chinesischen Kalligraphie

Kalligraphie ist die Kunst der Linien, der Pinselstriche. Lin Huaimin (geb. 1947), ein berühmter Tänzer aus Chinas Insel Taiwan und Direktor der Cloud Gate Dancing Troupe, choreographierte einst einen Tanz mit dem Titel „Kursive Grasschrift“, der ihm Weltruhm einbrachte. Es war die chinesische Kalligraphie, die ihn inspiriert hatte, und nun hauchte ihr der Tanz – insbesondere

„Kursive Grasschrift 2“ – Leben ein. Aus dem Tänzer wird auf der Bühne ein Kalligraph, der den Pinsel schwingt und Tinte auf Papier aufbringt, und, nachdem er eine Weile innegehalten hat, voller Eifer das nächste Zeichen malt. Seine Bewegungen sind mal flink, weich und elegant, mal langsam, behutsam und anmutig. Obwohl das Bühnenbild ganz ohne Schriftzeichen auskommt, ist die faszinierende Kunst der Kalligraphie stets gegenwärtig.

Der tangzeitliche Meister der Kalligraphie Zhang Xu vertiefte sich einige Zeit in die Welt der kursiven Grasschrift. Er kopierte die Meister vorangegangener Dynastien, machte aber wenig Fortschritte. Eines Tages sah er auf den Straßen von Chang’an, der damaligen chinesischen Hauptstadt, eine Menschenmenge. Als er näher hinzutrat, erblickt er die Dame Gongsun, eine berühmte Tänzerin der damaligen Zeit, bei der Aufführung eines Schwerttanzes. Ihr geschmeidiger Körper und ihre durch die Luft wirbelnde Robe folgten gleichsam den Bewegungen des Schwerts, und das Schwert schien eins zu werden mit seiner Umgebung. Der Tanz verzauberte Zhang Xu – nun verstand er die wahre Schönheit der Kalligraphie und machte fortan Fortschritte in dieser Disziplin.

Ein moderner Tänzer erlangt Weisheit durch die Kalligraphie, ein Kalligraph vergangener Zeiten wurde vom Tanz inspiriert. Dies zeigt, dass Kalligraphie und Tanz etwas Gemeinsames haben: eine innere Lebensenergie, die Seele der Kalligraphie und zugleich die Seele des Tanzes.

Mitunter wird Kalligraphie auch mit Schattenboxen verglichen: Der Schattenboxer bewegt und dreht sich und beschreibt dabei rhythmische, harmonische Linien in der Luft.

Ein „Ein-Strich-Schriftzeichen“ in der chinesischen Kalligraphie ist Ausfluss eines solchen inneren Energieflusses. Dies ist nicht etwa ein Zeichen, das entsteht, ohne dass der Pinsel zwischendurch abgesetzt wird, sondern ein Zeichen, das mit einem einzigen Energieschub geschrieben wird. Wenn auch die Striche von außen betrachtet nicht notwendigerweise miteinander verbunden wirken müssen, so gehören sie doch im Inneren eng zusammen. Ohne innere Verbindung fehlen dem Schriftzeichen Kraft und Energie.

Das „Ein-Strich-Schriftzeichen“ wurde zunächst von Wang Xianzhi (344-386), dem Sohn des berühmten Kalligraphen Wang Xizhi (303-361) aus der Östlichen Jin-Dynastie (317-420), befürwortet. Wang Xianzhis kurzer Brief Yatou Wan, ein Meisterwerk, das noch heute existiert, wurde in einem Zug geschrieben, die lebendige Energie nur durch den rhythmischen Duktus des Pinselstrichs unterbrochen. Die inneren Verbindungen eines solchen Kunstwerks fesseln den Betrachter, ohne dass es ihm bewusst wird.

Guan-Yu-Tempel, in kleiner Regelschrift von Zhu Yunming (1460-1527), Ming-Zeit

Gute chinesische Kalligraphie hebt sich ab von dem Schreibstil des sog. „Tintenschweins“ – Schreiben mit schwerer, dichter Tinte, die einer energiegeladenen Pinselführung abhold ist, was zu dicken, schwerfälligen und einem fetten Schwein ähnelnden Strichen führt. Der Grund dafür ist, dass es an lebhaften Linien und innerer Energie mangelt.

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