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„China war die bisher beste Erfahrung meines Lebens“

German.xinhuanet.com | 17-08-2016 11:19:27 | China Heute

Wir wussten bereits im Vorfeld von Yiqis großer musikalischer Begabung. Sie spielt seit ihrem sechsten Lebensjahr Violine. Deshalb organisierten wir für sie zusätzlich zu ihrem Schulunterricht Geigenstunden bei einer Professorin der Freiburger Musikhochschule. Auch hier kam das talentierte Mädchen so gut an, dass die Professorin sie schon bald in ein Programm für Hochbegabte an der Musikhochschule aufnahm. Kein Wunder, dass sich ihr Talent schnell herumsprach. Bei mehreren Konzerten konnten die Menschen hier in der Region, aber auch im südfranzösischen Sisteron, ihr Können bestaunen. Auch durch ihre Musik gewann unsere Gasttochter viele Freunde.

Das deutsche Essen, das sich doch sehr von der chinesischen Küche unterscheidet, schien kein Problem für das Mädchen zu sein – mal abgesehen von besonders kräftigen Käsesorten. Am besten, so sagte sie uns immer wieder, schmeckte es ihr, wenn meine Frau und ich zuhause kochten.

Es gäbe noch vieles zu erzählen. Am Ende, als der Abschied nahte, waren wir alle sehr traurig. Unsere Yiqi war wie eine Tochter für uns geworden. Wir hatten eine wundervolle Zeit zusammen, die leider nur viel zu schnell zu Ende gegangen war. „Ich will versuchen, so bald wie möglich wieder nach Deutschland zu kommen“, sagte sie am Ende. Sie hatte sich vorgenommen, zunächst in China einen möglichst guten Schulabschluss zu schaffen. Gleichzeitig wollte sie sich um einen Studienplatz bei ihrer Professorin an der Freiburger Musikhochschule bewerben. Das war ihr Plan. Dass das aber sehr, sehr schwer würde, das wussten wir alle. Zum Abschied gab es viele Umarmungen und Geschenke von ihren Freunden, Schulkameradinnen und -kameraden und auch vom Rektor ihrer Schule, und schließlich Tränen, als wir uns am Bahnsteig in Offenburg verabschiedeten. Würden wir uns jemals wiedersehen?

Als ich Yiqi kürzlich in einer E-Mail fragte, welche Eindrücke aus ihrem Austauschjahr sich besonders in ihrem Gedächtnis eingeprägt haben, fielen ihr als erstes die bunt geschmückten Pferdewagen vom „Rossfest“ ins St. Märgen ein. „Der Himmel war sehr blau und die Landschaft im Schwarzwald war sehr anders.“ Besonders gefiel ihr die freie und behütete Atmosphäre an der hellen und modernen Freiburger Musikhochschule, aber auch die vielen kleineren Konzerte, die sie geben durfte. Ihr war auch aufgefallen, dass die Politik in Deutschland andere Farben hat, als zuhause – besonders in Wahlkampfzeiten: „Lustig war, dass die Stände der verschiedenen Parteien mit Kugelschreiber und Gummibärchen für sich Werbung gemacht haben und alle so freundlich waren!“ Und was war das Beste? „Vielleicht die Volksfeste mit Bratwurst, Bier und Kartoffelsalat.“

AFS ist nur eine von vielen Organisationen, an die Schüler oder Studenten sich wenden können, wenn sie sich für einen Austausch mit China interessieren. Während AFS weltweit orientiert ist, gibt es auch zahlreiche Einrichtungen, die sich intensiv auf den Austausch zwischen Deutschland und China ausgerichtet haben. Neben den Goethe Instituten sind da besonders der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Stiftung Mercator oder auch die Organisation „Youth For Understanding“ (YFU) zu nennen. Inzwischen gibt es auch den ganz direkten Austausch zwischen befreundeten Schulen und Universitäten – darunter könnte man beispielhaft die Freundschaft der Freiburger Max-Weber-Schule mit ihrer Partnerschule in Tianjin hervorheben.

Eintauchen in die fremde Kultur: Joel mit einer chinesischen Kalligraphie

China – eine ganz neue Welt

Austausch hat immer zwei Richtungen. So, wie junge Chinesen in Deutschland eine Vielzahl neuer Facetten des Lebens kennen lernen können, nutzen auch viele deutsche Schüler und Studenten die Gelegenheit, nach China zu reisen, bei Gastfamilien zu leben und dadurch ihren Horizont zu erweitern. Wie erleben also deutsche Schüler ihren Gastaufenthalt in China? Auf den Internetseiten der YFU findet man eine beeindruckende Sammlung von Aufsätzen und Berichten junger Schüler, die sich aktuell bei Gastfamilien in China aufhalten oder die nachträglich über ihre Zeit im Reich der Mitte erzählen. „Sich willkommen zu fühlen, ist das (...) für mich ganz wichtige Gefühl, das ich häufig in China erleben darf. Es ist ganz egal, wohin ich gehe, überall sind die Menschen stets bereit gewesen, mir dabei zu helfen, mich gut in China einzuleben.“ Immer wieder erleben die jungen Deutschen bei ihrem Aufenthalt im Gastland die große Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Chinesen – was ich aus eigener Erfahrung ebenfalls bestätigen kann.

Joel mit seiner Gastmama: „Meine Gastmutter hat mir immer erst, nachdem ich probiert hatte, erzählt, was ich gegessen habe“, sagt der junge Deutsche. Bereut hat er die kulinarische Experimentierfreudigkeit nicht.

„China war die bisher beste Erfahrung meines Lebens“, meint Joel auf meine Frage, wie er sich nach seinem Austauschjahr in China fühle. Joel war im Rahmen eines YFU-Schüleraustauschs zehn Monate lang bei einer Familie im südlichen Shenzhen untergebracht. „Meine Gasteltern, mein Gastbruder und ich, wir sind heute eigentlich eine richtige Familie“, schwärmt Joel. Wenn er erzählt, dann nennt er sie meist „mein Papa“, „meine Mama“, „mein Bruder“. Es sind, so sagt er mir, vor allem die vielen einzigartigen Erlebnisse und die wundervollen Menschen, die er wohl niemals vergessen wird.

„Einmal sehen ist besser als hundertmal hören“, sagt ein chinesisches Sprichwort. „China ist ganz anders, als es hier bei uns in den Medien dargestellt wird“, sagt Joel. Wenn man das Land nur aus dem deutschen Fernsehen oder aus der deutschen Presse kenne, dann habe man keine Vorstellung von der Wirklichkeit. Dass unser Chinabild sehr einseitig und realitätsfern ist, das war eine seiner ersten Wahrnehmungen in seinem Gastland. China ist wundervoll, die Menschen liebenswert und immer hilfsbereit – allein für diese Erkenntnis lohnt sich doch eine Reise ins Reich der Mitte.

Joel war erst 15 Jahre alt, als er im August 2015 in Shenzhen eintraf. Mit ganz elementaren Chinesisch-Sprachkenntnissen aus einem Kurs an der Volkshochschule sprang er sozusagen ins kalte Wasser. Seine Gastmutter war Englischlehrerin und sicherlich hätte man sich auch über einen längeren Zeitraum problemlos auf Englisch verständigen können. Nach gut vier Wochen war es aber schon möglich, die Konversation weitgehend auf Chinesisch zu führen. Dass sein chinesischer Gastbruder erst drei Jahre alt war, hat Joel besonders gut dabei geholfen, Chinesisch zu lernen. Er erkannte rasch, dass seine Gasteltern mit dem Kleinen ein sehr viel einfacheres Chinesisch sprachen, als unter Erwachsenen üblich. So konnte er gemeinsam mit dem Kind mit elementarem Chinesisch anfangen und auf diesem Weg viel leichter den Einstieg in die Sprache finden, als dies in der reinen Erwachsenenwelt möglich gewesen wäre.

Joel mit seinem Fußballteam: Der Unterricht chinesischer Schüler dauert von früh morgens bis in den Abend, danach stehen noch Hausaufgaben an. Da bleibt eigentlich nicht viel Raum für Familie, Hobbys und Freunde.

In der Schule, die im September begann, gefiel es dem jungen Mann aus dem Allgäu sehr gut, allerdings konnte er anfangs vom Unterricht nur recht wenig verstehen. Trotzdem integrierte er sich rasch und beteiligte sich so gut wie möglich an den Veranstaltungen, immer aktiv unterstützt von den Lehrerinnen und Lehrern. „Ja, ich habe auch Freunde gefunden – allerdings dauert das in China wirklich länger, als bei uns!“ Hauptgrund dafür sei wohl, so Joel, dass die Schüler in China einfach viel weniger Freizeit hätten, als dies in Deutschland der Fall sei. Der Unterricht dauert von früh morgens bis in den Abend und danach muss man noch Hausaufgaben machen. Da bleibt nicht viel Raum für Familie, Hobbys und Freunde.

Joel hatte Glück. Seine Gasteltern behandelten ihn wie ihren eigenen Sohn. Sie nahmen ihn während der Ferien auch auf mehrere Reisen mit, um ihm ein größeres Bild ihres Landes zu vermitteln – eine davon führte auch in den Osten Taiwans. „Wir waren im Wintermonat Februar dort und es hat unglaublich viel Spaß gemacht, als wir im Süden der tropischen Insel ins warme Meer springen konnten.“ Wie man sieht: Eine Reise nach Taiwan ist für Festlandchinesen vielleicht noch nicht ganz alltäglich, aber doch mittlerweile ohne Probleme möglich.

Ein besonderes Erlebnis ist für Chinareisende immer die Begegnung mit der chinesischen Küche. Vieles ist ganz anders als zuhause. „Meine Gastmutter hat mir immer erst, nachdem ich probiert hatte, erzählt, was ich gegessen habe. Ich muss sagen, es hat einfach alles super geschmeckt.“ Besonders viel Spaß hatte Joel bei den gemeinsamen Abendessen mit seinen Freunden. Da ging es immer fröhlich und geräuschvoll zu – ganz anders als in Deutschland.

Heute sieht Joel die Welt mit anderen Augen. Das Austauschjahr in China hat ihm viel gegeben. Vieles erlebt er heute anders – zum Beispiel den konversationsorientierten Englischunterricht in seiner deutschen Schule, der ihm deutlich besser gefällt als die chinesische Frontalvariante. Und doch gab es auch an seiner chinesischen Schule vieles, was ihm ausgesprochen gut gefiel – nicht zuletzt das respektvolle Verhältnis der Schüler zu ihren Lehrern. Nein, die Zeit in China wolle er nicht missen. Im nächsten Jahr wird er seine Gasteltern, die er sehr vermisst, wieder besuchen. Anschließend fliegt er nach Beijing, wo er sich mit seinen Eltern, die mittlerweile ebenfalls neugierig auf China geworden sind, zu einer China-Rundreise treffen wird.

In der Abschlusserklärung der chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen vom 13. Juni 2016 heißt es: „Deutschland und China begrüßen das laufende Chinesisch-Deutsche Jahr für Schüler- und Jugendaustausch 2016 (...). Beide Seiten sind sich einig, dass das Jahr des Schüler- und Jugendaustauschs für eine weitere Vertiefung der Förderung interkultureller Kompetenz (...) genutzt werden sollte.“

Der Austausch zwischen Deutschland und China ist lebendig und hat viele Facetten. Schon jetzt dürfen viele junge Schüler und Studenten den Schulalltag im Reich der Mitte kennenlernen und jedes Jahr kommen junge Chinesen zum Austausch nach Deutschland. Menschen kommen zusammen, Freundschaften werden geschlossen - zwei Kulturen, die sich vorher so fremd und fern waren, kommen sich näher und bereichern sich gegenseitig. Wer mit Austauschschülern spricht oder die Erlebnisberichte liest, der kann erahnen, wie sehr die jungen Menschen ihr Erlebtes und ihre Erfahrungen schätzen. Es ist zu wünschen, dass das Chinesisch-Deutsche Jahr für Schüler- und Jugendaustausch 2016 dazu beiträgt, das bisher Erreichte zu fördern und weiter zu entwickeln. Für wahre Freundschaft ist keine Distanz zu groß und keine Hürde zu hoch.

„Wenn Freunde aus der Ferne kommen – bereitet das etwa keine Freude?“, heißt es bei Konfuzius. Ihre Schulausbildung in China hat Yiqi inzwischen abgeschlossen. Die Aufnahmeprüfung für die Freiburger Musikhochschule war mitten in ihre Abschlussprüfungen gefallen. Das Studium in Deutschland macht ihr sehr viel Spaß und auch ein Gastsemester bei einem bekannten Violinisten in den USA hat sie schon absolviert. Das Bachelor-Studium nähert sich dem Ende – bald soll der Master folgen. Ihre Mutter war nun schon mehrmals in Deutschland, um ihre Tochter und uns zu besuchen. Sogar ihre Großeltern waren von Yiqis Erzählungen so neugierig geworden, dass sie den weiten Weg auf sich nahmen, uns und unser Land kennen zu lernen. Längst schon sind wir eine richtige deutsch-chinesische Familie geworden.

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