365 Träume aus China: Nachtlinie

Offkommentar

(Liu Baoshan männlich)

Schatz, hat das Kind schon die Hausaufgaben gemacht? Hast du die Türen und Fenster zugeschlossen? Geht früh ins Bett.

Vor einigen Jahren gab es einen Kellner, der oft mit meinem Bus fuhr. Eines Tages saß er nicht im Bus und am nächsten Tag fragte ich ihn: „Warum saßen Sie gestern nicht im Bus?“ Er sagte, dass einer der Gäste erst spät die Rechnung bezahlt hätte. Ich meinte dann, dass er mich vorher anrufen solle, wenn etwas ähnliches nochmal passiert, damit ich so lang wie möglich auf ihn warte.

Später habe ich auch mit vielen Leuten, die immer den Bus benutzen, Kontakt gehalten und mit der Zeit sind sie meine Freunde geworden.

Das Leben der Fahrgäste, die die Nachtlinie nehmen, ist größtenteils sehr schwer. Einmal stieg ein junger Mann in den Bus und belästigte ein Mädchen. Ich bin sofort wütend geworden und hab ihn ein paar Mal angebrüllt. Als er meinen Mut spürte, benahm er sich ordentlich. Ein anderes Mal traf ich in Zizhuyuan [Dzidschujüän; „dz“ wie das Summen einer Biene; „dsch“ wie „dsch“ von „Dschungel“] eine ältere Frau, die sich verlaufen hatte. Sie konnte mir nicht sagen, wo sie wohnte. Ich fand dann einen Zettel, den sie bei sich hatte. Darauf stand die Adresse ihrer Familie und ich brachte sie nach Hause.

1998 stand ein älterer Fahrer kurz vor der Rente und die Firma sagte ich solle ihn ersetzen und die Linie 206 übernehmen. Damals dachte ich, dass ich es ein paar Tage mache und dann wieder zurückversetzt werde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das die nächsten 16 Jahre mache.

Wenn ich frei habe, ist es tagsüber gelegentlich besonders schwierig. Meine biologische Uhr ist durcheinander. Die Nacht verwandelt sich zum Tag, das Haar wird immer weniger und der Blutdruck steigt.

Am meisten bleibt die Familie zurück. Grundsätzlich kann ich nicht mit meiner Frau durch die Straßen bummeln und auch nicht mein Kind abholen.

Die einsamste Zeit ist am Chinesischen Neujahrsabend. Um 7, 8 Uhr abends ist die ganze Familie beschäftigt und kommt zum Essen zusammen. Ich muss sie verlassen und zur Arbeit gehen. Ich kann mir die Gala zum Neujahrsfest im Fernsehen nicht ansehen und auch keine Jiaozi [Dschiaodzi; „dsch“ wie „dsch“ von „Dschungel“; „dz“ wie das Summen einer Biene] essen.

Dialog

(Fahrgast männlich) Zum Feiertag hab ich Ihnen ein paar Zongzi [Dzungdzi; „dz“ wie das Summen einer Biene] mitgebracht.

(Liu Baoshan männlich) Vielen, vielen Dank.

Offkommentar

(Liu Baoshan männlich) Letztes Jahr am Neujahrsabend rief mich ein älterer Fahrgast an und sagte er warte an der Baishiqiao-Brücke [Beischitschiao; „i“ von „schi“ wie „i“ von „Milch“; „tsch“ wie „ch“ von „Cha-Cha“] auf mich. Er gab mir ein Essenspaket und sagte: „Das sind von meiner Mutter eingepackte Jiaozi [Dschiaodzi; „dsch“ wie „dsch“ von „Dschungel“; „dz“ wie das Summen einer Biene] und noch Essig und Knoblauch zum Würzen. Ich war wirklich gerührt.

 

Xinhuanet Deutsch

365 Träume aus China: Nachtlinie

GERMAN.XINHUA.COM 2018-04-12 17:07:28

Offkommentar

(Liu Baoshan männlich)

Schatz, hat das Kind schon die Hausaufgaben gemacht? Hast du die Türen und Fenster zugeschlossen? Geht früh ins Bett.

Vor einigen Jahren gab es einen Kellner, der oft mit meinem Bus fuhr. Eines Tages saß er nicht im Bus und am nächsten Tag fragte ich ihn: „Warum saßen Sie gestern nicht im Bus?“ Er sagte, dass einer der Gäste erst spät die Rechnung bezahlt hätte. Ich meinte dann, dass er mich vorher anrufen solle, wenn etwas ähnliches nochmal passiert, damit ich so lang wie möglich auf ihn warte.

Später habe ich auch mit vielen Leuten, die immer den Bus benutzen, Kontakt gehalten und mit der Zeit sind sie meine Freunde geworden.

Das Leben der Fahrgäste, die die Nachtlinie nehmen, ist größtenteils sehr schwer. Einmal stieg ein junger Mann in den Bus und belästigte ein Mädchen. Ich bin sofort wütend geworden und hab ihn ein paar Mal angebrüllt. Als er meinen Mut spürte, benahm er sich ordentlich. Ein anderes Mal traf ich in Zizhuyuan [Dzidschujüän; „dz“ wie das Summen einer Biene; „dsch“ wie „dsch“ von „Dschungel“] eine ältere Frau, die sich verlaufen hatte. Sie konnte mir nicht sagen, wo sie wohnte. Ich fand dann einen Zettel, den sie bei sich hatte. Darauf stand die Adresse ihrer Familie und ich brachte sie nach Hause.

1998 stand ein älterer Fahrer kurz vor der Rente und die Firma sagte ich solle ihn ersetzen und die Linie 206 übernehmen. Damals dachte ich, dass ich es ein paar Tage mache und dann wieder zurückversetzt werde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das die nächsten 16 Jahre mache.

Wenn ich frei habe, ist es tagsüber gelegentlich besonders schwierig. Meine biologische Uhr ist durcheinander. Die Nacht verwandelt sich zum Tag, das Haar wird immer weniger und der Blutdruck steigt.

Am meisten bleibt die Familie zurück. Grundsätzlich kann ich nicht mit meiner Frau durch die Straßen bummeln und auch nicht mein Kind abholen.

Die einsamste Zeit ist am Chinesischen Neujahrsabend. Um 7, 8 Uhr abends ist die ganze Familie beschäftigt und kommt zum Essen zusammen. Ich muss sie verlassen und zur Arbeit gehen. Ich kann mir die Gala zum Neujahrsfest im Fernsehen nicht ansehen und auch keine Jiaozi [Dschiaodzi; „dsch“ wie „dsch“ von „Dschungel“; „dz“ wie das Summen einer Biene] essen.

Dialog

(Fahrgast männlich) Zum Feiertag hab ich Ihnen ein paar Zongzi [Dzungdzi; „dz“ wie das Summen einer Biene] mitgebracht.

(Liu Baoshan männlich) Vielen, vielen Dank.

Offkommentar

(Liu Baoshan männlich) Letztes Jahr am Neujahrsabend rief mich ein älterer Fahrgast an und sagte er warte an der Baishiqiao-Brücke [Beischitschiao; „i“ von „schi“ wie „i“ von „Milch“; „tsch“ wie „ch“ von „Cha-Cha“] auf mich. Er gab mir ein Essenspaket und sagte: „Das sind von meiner Mutter eingepackte Jiaozi [Dschiaodzi; „dsch“ wie „dsch“ von „Dschungel“; „dz“ wie das Summen einer Biene] und noch Essig und Knoblauch zum Würzen. Ich war wirklich gerührt.

 

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