365 Träume aus China: Die Augen des Herzens

Wang Weili (männlich): Bei meiner ersten Modellausstellung war dieser über 70-jährige, alte, blinde Mann mit ganz weißen Haaren. Auf dem Tisch stand nur eine Dampflokomotive und dieser Alte betastete sie von allen Seiten.

Ein Freiwilliger fragte ihn: „Was gefällt Ihnen daran denn so sehr?“ und er sagte: „Sie können nicht wissen, dass ich neben einer Eisenbahnstrecke aufgewachsen bin. Ich kenne das Beben, das dieser Zug verursacht, wenn er an mir vorbeifährt. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Aber ich habe nie gewusst, wie er eigentlich aussieht.“ Damals war ich sehr gerührt. Ich kann alles sehen, aber Blinde können das nicht.

Blinde sind die Benachteiligten unter den Benachteiligten. Selbst in ihren Träumen gibt es keine Bilder, keinen Orientierungssinn und auch die Zeit ist verzerrt. Aber im Herzen der Blinden gibt es einen Satz, den sie nie aussprechen: „Sag mir, was du siehst.“

Seit meiner Kindheit lebe ich mit meiner geistig behinderten kleinen Schwester zusammen und oft wurden wir diskriminiert. Das säte in mir den Gedanken, ich müsse mich unbedingt für solche Menschen einsetzen.

Im Jahr 2004 war der erste Blinde, der zu mir nach Hause kam, anfangs etwas teilnahmslos und wahrte ganz offensichtlich eine Distanz zu uns. Während wir redeten und redeten faszinierte ihn diese Geschichte und er konzentrierte sich so extrem, dass ihm auf Nase und Stirn bohnengroße Schweißperlen standen. Zum Schluss sagte er zu mir: „Wenn Sie nicht geredet hätten, wären diese Geräusche für mich bloß Lärm gewesen, aber auf einmal erwachten sie zum Leben.“ Er sagte auch noch: „Dies ist der glücklichste Tag für mich seit 36 Jahren.“ Zu jenem Zeitpunkt kam ich zu einer Überzeugung: Blinde können Filme kucken. Endlich hatte ich einen Weg gefunden.

Blinde haben eine Besonderheit: die Sprache des Tastens. Sie benutzen Dinge, mit denen sie im Leben in Berührung gekommen sind, um ihrem Verständnis zu helfen. Es gibt ein riesiges Bauwerk, das einer über Kopf auf dem Boden stehenden Teetasse ähnelt, unten breit und oben schmal, genau so wie die Form, die Sie in der Hand haben. So etwas können sie sofort verstehen.

Herr Wu steht um 5 oder sogar noch früher auf. Er läuft einen Feldweg entlang, dann eine große Straße, nimmt drei verschiedene Busse und ertastet sich mit dem Blindenstock seinen Weg bis zum Kino des inneren Auges. Einfach, um es zu einem Film zu schaffen.

In China gibt es 17 Mio. Blinde. Wieviele davon sehen wir auf den Straßen? Sie geben uns eine bestimmte Art von Kraft. Es sieht so aus, als würden wir ihnen helfen, aber eigentlich sind es die Blinden, die uns helfen, die Lampe in unserem Herzen anzuzünden.

Xinhuanet Deutsch

365 Träume aus China: Die Augen des Herzens

GERMAN.XINHUA.COM 2018-09-03 10:56:56

Wang Weili (männlich): Bei meiner ersten Modellausstellung war dieser über 70-jährige, alte, blinde Mann mit ganz weißen Haaren. Auf dem Tisch stand nur eine Dampflokomotive und dieser Alte betastete sie von allen Seiten.

Ein Freiwilliger fragte ihn: „Was gefällt Ihnen daran denn so sehr?“ und er sagte: „Sie können nicht wissen, dass ich neben einer Eisenbahnstrecke aufgewachsen bin. Ich kenne das Beben, das dieser Zug verursacht, wenn er an mir vorbeifährt. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Aber ich habe nie gewusst, wie er eigentlich aussieht.“ Damals war ich sehr gerührt. Ich kann alles sehen, aber Blinde können das nicht.

Blinde sind die Benachteiligten unter den Benachteiligten. Selbst in ihren Träumen gibt es keine Bilder, keinen Orientierungssinn und auch die Zeit ist verzerrt. Aber im Herzen der Blinden gibt es einen Satz, den sie nie aussprechen: „Sag mir, was du siehst.“

Seit meiner Kindheit lebe ich mit meiner geistig behinderten kleinen Schwester zusammen und oft wurden wir diskriminiert. Das säte in mir den Gedanken, ich müsse mich unbedingt für solche Menschen einsetzen.

Im Jahr 2004 war der erste Blinde, der zu mir nach Hause kam, anfangs etwas teilnahmslos und wahrte ganz offensichtlich eine Distanz zu uns. Während wir redeten und redeten faszinierte ihn diese Geschichte und er konzentrierte sich so extrem, dass ihm auf Nase und Stirn bohnengroße Schweißperlen standen. Zum Schluss sagte er zu mir: „Wenn Sie nicht geredet hätten, wären diese Geräusche für mich bloß Lärm gewesen, aber auf einmal erwachten sie zum Leben.“ Er sagte auch noch: „Dies ist der glücklichste Tag für mich seit 36 Jahren.“ Zu jenem Zeitpunkt kam ich zu einer Überzeugung: Blinde können Filme kucken. Endlich hatte ich einen Weg gefunden.

Blinde haben eine Besonderheit: die Sprache des Tastens. Sie benutzen Dinge, mit denen sie im Leben in Berührung gekommen sind, um ihrem Verständnis zu helfen. Es gibt ein riesiges Bauwerk, das einer über Kopf auf dem Boden stehenden Teetasse ähnelt, unten breit und oben schmal, genau so wie die Form, die Sie in der Hand haben. So etwas können sie sofort verstehen.

Herr Wu steht um 5 oder sogar noch früher auf. Er läuft einen Feldweg entlang, dann eine große Straße, nimmt drei verschiedene Busse und ertastet sich mit dem Blindenstock seinen Weg bis zum Kino des inneren Auges. Einfach, um es zu einem Film zu schaffen.

In China gibt es 17 Mio. Blinde. Wieviele davon sehen wir auf den Straßen? Sie geben uns eine bestimmte Art von Kraft. Es sieht so aus, als würden wir ihnen helfen, aber eigentlich sind es die Blinden, die uns helfen, die Lampe in unserem Herzen anzuzünden.

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