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Interview: Fußball und Mathematik etwas gemeinsam haben: Heiko Vogel

Heiko Vogel(L) mit Oliver Trust(R)

Xinhua: Die Grundidee des dominanten Fußballs aber ist enthalten?

Vogel: Eindeutig ja. Das ist etwas Cheftrainer unabhängiges, das ist etwas wofür der FC Bayern grundsätzlich steht. Dominanz ist der ökonomischste Weg, erfolgreich zu sein. Bei den vielen Spielen, die Profis im Laufe einer Saison leisten müssen ist Dominanz effizient und ökonomisch. Grundsätzlich geht es darum, mit konstruktivem Fußball zum Erfolg zu kommen.

Xinhua: Was bedeutet konstruktiver Fußball genau?

Vogel: Konstruktiver Fußball umfasst technisch gut ausgebildete Spieler, die das Positionsspiel beherrschen sowie den Grad an Präzision. Das wichtigste ist nicht der schnelle Ballkontakt, sondern, der präzise Ballkontakt.

Xinhua: Der Erfolg im Fußball scheint in verschiedenen Ländern immer Zyklen zu unterliegen, mal erfolgreich, mal weniger. Wie sieht der Königsweg für konstanten Erfolg aus?

Vogel: Der Königsweg sieht sicher vor, immer auf der Suche nach neuen Wegen zu sein – und positive wie negative Entwicklungen zu nutzen, um weiter zu kommen. Fußball verändert sich ständig. Das heißt, sich in erfolgreichen Phasen nicht auf eingefahrene Muster zu verlassen und bequem zu werden. Erfolgreiche Mannschaften vom Thron zu stoßen ist der größte Anreiz für einen Gegner.

Xinhua: Jetzt haben wir intensiv über sportlichen Erfolg gesprochen, aber Ausbildung im Fußball bedeutet Sport und Schule oder Ausbildung in einem „normalen Beruf“ zu vereinbaren.Wie sehr sind sie in den anderen, nicht sportlichen Bereich eingebunden?

Vogel: Ich bekomme mit, was den Spielern alles abverlangt wird, und da kann ich nur sagen, ich verneige mich voller Respekt. Allein das Zeitmanagement verlangt Disziplin und Zielstrebigkeit, um diesen Weg zu gehen. Nicht nur wir verlangen Höchstleistung, das fordert auch die Schule. Spielfreude ist deshalb ein wichtiger Baustein unserer Ausbildung – damit kann man vielleicht mal eine schlechtere Note vergessen.

Xinhua: Damit haben Sie die Sorge vieler chinesischer Eltern zum Ausdruck gebracht, die sich fragen wie Sport und Schule unter einen Hut zu bekommen sind, ohne, dass die Schule darunter leidet?

Vogel: Die Sorgen kann ich gut verstehen. Eine Karriere im bezahlten Fußball ist definitiv nicht planbar und von Faktoren abhängig, die man nicht alle selbst bestimmen kann. Aber ich glaube an eine konstruktive Koexistenz von Sport und Schule. Es muss immer so sein, dass das Standbein „normaler“ Beruf genauso wichtig ist, wenn nicht sogar wichtiger.

Xinhua: Wir sind gespannt, ob Ihre Antwort die Eltern chinesischer Fußballtalente überzeugt . . . .

Vogel: (lacht) . . . jetzt habe ich das Gefühl, ich muss nachlegen . . .

Xinhua: . . . wir auch . . . .

Vogel: (lacht) . . . der junge Mensch wird von der Freude, die er beim Fußball spielen hat, in der Schule profitieren . . . .

Xinhua: Sie sind überzeugt, Erfahrungen im Fußball wirken sich positiv auf andere Lebensbereiche aus?

Vogel: Definitiv ja. Der Schüler profitiert vom Fußball. Allein, wenn es darum geht, an etwas dran zu bleiben, sprich, etwas schaffen zu wollen. Ehrgeiz hilft auch in der Mathematik, etwas zu lösen. Man muss nur beides zulassen – Ehrgeiz im Sport und in der Schule.

Xinhua: Was ist für einen Nachwuchstrainer neben den sportlichen Belangen wichtig?

Vogel: Er darf nie nur den Spieler sehen, sondern zuerst den Menschen. Man muss sich immer vor Augen halten, wir arbeiten mit jungen Menschen. Wir wünschen uns selbstbewusste Spieler, die auf dem Platz Verantwortung übernehmen.

Xinhua: Nun eine provokante Frage: Wenn es am Ende nur wenige in den Profibereich schaffen, warum spielen dann so viele Fußball?

Vogel: Weil jeder die Hoffnung hat, einer der Auserwählten zu sein – und, weil Fußball ein unglaublich faszinierender Sport ist. Es geht nicht nur darum das große Ziel Profifußballer zu sehen, sondern um die Verwirklichung im Fußball, weil mir das Spiel so viel gibt, unabhängig von der Liga-Zugehörigkeit. Ich finde, Eltern sollten, wenn möglich, den Traum unterstützen und - die Kinder vom Spaß durch Fußball als Schule fürs Leben profitieren lassen.

Xinhua: Schule fürs Leben heißt, Teamwork umzusetzen, zielstrebig auf etwas hinarbeiten, sich einzubringen . . . .

Vogel: . . . Fußball enthält viele Facetten, die sich im normalen Leben wieder finden. Teamwork heißt, sich einzubringen, sich unterzuordnen, zu führen, zu leiten, zu kommunizieren, aus Niederlagen und Siegen zu lernen, Niederlagen zu verarbeiten, ansonsten wird man grundsätzlich scheitern, egal in welchem Beruf, und bei Siegen, nicht abzuheben, sondern noch motivierter zu sein.

Xinhua: Was ist wichtiger im Nachwuchsfußball – Talent oder Training?

Vogel: Talent ist ohne Mentalität nichts wert. Erfolgreiche Menschen waren neben ihrem Talent mental immer besessen, fleißig und wollten vorankommen. Das heißt: Es ist sicher beides wichtig. Noch wichtiger aber ist etwas anderes.

Xinhua: Jetzt sind wir gespannt.

Vogel: Ehrlichkeit, was die Perspektive im Fußball angeht. Es gehört auch zu meinem Job, sagen wir, vielleicht Träume zu zerstören, wenn ich den Eindruck habe, derjenige schafft es nicht dauerhaft auf ein Top-Niveau. Das ist nicht leicht, aber es ermöglicht dem Spieler Perspektiven in anderen Bereichen.

Xinhua: Lassen Sie uns über Taktik sprechen – und, wer in welchen Altersstufen was lernt?

Vogel: Mit dem mannschaftstaktischen Bereich wird eher spät begonnen. Zuerst kommt die individuelle Taktik. Das mannschaftstaktische darf nicht die individuellen Defizite kaschieren.

Xinhua: In welchen Altersstufen wird wie trainiert?

Vogel: Die ganz kleinen spielen auch schon mannschaftstaktisch – das heißt, der Ball bestimmt die Mannschaftstaktik. Was bedeutet: Da, wo der Ball ist, sind alle Spieler. Grundsätzlich aber ist die Mannschaftstaktik zuerst einmal zu vernachlässigen, weil sie sich später leichter hinzufügen oder erlernen lässt. Die grundlegende Fußball-Ausbildung, also Technik, dazu im Gegensatz nicht. Was verpasst wurde, dauert extrem lange, um es nachzuholen.

Xinhua: Wo liegt der größte Unterschied zu den Profis?

Vogel: Vor wenigen Tagen war Arjen Robben bei uns Trainingsgast – es war eine Demonstration was Laufbereitschaft, Präzision, Intensität und Kommunikation angeht.

Xinhua: Man sagt der Schritt aus dem Nachwuchsbereich zu den Profis ist der größte Schritt – warum ist das so?

Vogel: Profifußball ist wesentlich ergebnisorientierter. Talente spielen weniger zielgerichtet Fußball.

Xinhua: Was muss ein Nachwuchsfußballer mitbringen, um es zu schaffen?

Vogel: Talent und Mentalität.

Xinhua: Was ist das Wichtigste im Nachwuchsfußball? Die Ausrüstung, die Infrastruktur, die Eltern, das persönliche Umfeld, das Training oder der Trainer?

Vogel: Das meiste muss der Spieler selbst mitbringen – er muss die Besessenheit haben, es schaffen zu wollen. Ein Spieler, der vom Trainer oder seinen Eltern angetrieben wird, ist nie bereit, den letzten Schritt zu wagen. Gute Rahmenbedingungen erleichtern das, aber der Job bleibt der gleiche. Einfach ausgedrückt: Das Spiel belohnt oder bestraft. Tue ich zu wenig, werde ich bestraft, im Spiel als auch in der Spielerkarriere – und anders herum.

Xinhua: Diese Aussage könnte einen glauben lassen, Fußball sei gerecht?

Vogel: Daran glaube ich – oder sagen wir es so: Es ist sehr wahrscheinlich: Wer mehr tut, bekommt mehr zurück. Das beinhaltet, bei Rückschlägen noch mehr Gas zu geben.

Xinhua: Wie wichtig sind körperliche Voraussetzungen im Nachwuchsbereich?

Vogel: Der Körper ist der limitierende Faktor, das heißt, macht der nicht mit, helfen Talent und Leidenschaft nicht.

Xinhua: Es wird aber nicht positionsbezogen trainiert, heißt, der, der Innenverteidiger werden könnte, weil er zum Beispiel groß ist, muss in den Kraftraum und Gewichte stemmen?

Vogel: Ein 14-Jähriger wird nie Training an den Hanteln machen. Da mache ich viel zu viel kaputt. Wenn ein Jugendlicher ausgewachsen ist, ist das ein Thema. Zum Thema Positions-spezifisch gibt es ein gutes Beispiel: Philipp Lahm. Der begann als Rechtsaußen, als linker Verteidiger kam er in die Bundesliga, als Rechtsverteidiger wurde er Weltmeister und Pep Guardiola steckt ihn ins Mittelfeld. Wo ist nun die richtige Position für ihn? Es geht darum, dass ein Spieler, wenn er nach oben will, eine Waffe anbieten muss, sei es Schnelligkeit, Dribblings, gutes Stellungs- oder Passspiel.

Xinhua: Gibt es verschiedene Trainings- und Lerninhalte für verschiedene Altersstufen?

Vogel: Es gibt dies viel zitierte „goldene Lernalter“ zwischen acht und zwölf Jahren, in dem Inhalte wie Technik in dem Altersabschnitt am besten vermittelt werden. Im zunehmenden Alter wird die Sache immer spezifischer. Gewichtstraining wird mit 17, 18 und 19 Jahren durchgeführt.

Xinhua: Wir haben gelesen, Cheftrainer Pep Guardiola schließt kein Alter aus, wenn es um Spiele bei den Profis geht. Könnte also auch ein 14-Jähriger bei den Profis spielen?

Vogel: Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber grundsätzlich auszuschließen wäre das nicht. Wenn ein Spieler körperlich und mental so weit ist, könnte er spielen. Nur muss man sehen, dass die Entwicklung eines Spielers eben Zeit braucht. Kernpunkt von Guardiolas Einstellung ist, gute Spieler haben immer Vorrang. Eine Altersgrenze gibt es theoretisch nicht. Er will grundsätzlich alles genau wissen, das gibt uns allen ein gutes Gefühl.

Xinhua: Wie intensiv ist der Austausch zwischen Amateuren und Nachwuchs und Profis?

Vogel: Auch da ist der FC Bayern sicher ein besonderer Klub, der eine besonders intensive Beziehung zwischen oben und unten pflegt.

Xinhua: China ist eine sportbegeisterte Nation, die ihre Liebe zum Fußball entdeckt. Viele in China aber fragen sich, gibt es einen Zusammenhang zwischen der großen Zahl von Nachwuchs-Spielern und dem Erfolg in Deutschland. Oder anders gefragt: Ist dieser Erfolg mit einer wesentlich kleineren Anzahl von Nachwuchsspielern nicht erreichbar?

Vogel: Das würde ich so sehen: mehr Nachwuchs, wesentlich größere Chance auf Erfolg. Ich bin sicher, wenn Fußball in China an Popularität gewinnt, kommt automatisch der Erfolg. Wenn es Erfolge der Nationalmannschaft gibt, werden die von den Menschen wahrgenommen, und die Gemeinde der Fußballfreunde wächst. Vom Potential her ist China enorm.

Xinhua: Was muss ein Land tun, um die Begeisterung für Fußball noch stärker zu wecken – und wie lange dauert eine Entwicklung aus Ihrer Sicht?

Vogel: Die Kultur eines Landes muss Fußball zulassen. Populäre Sportarten, das ist meine Erfahrung, sind immer eingebettet in den kulturellen Kontext. In Europa ist es Fußball, in China ist es Tischtennis, Turnen und Basketball. China hat sich jetzt dem Fußball geöffnet – und ich denke, Fußball ist dort nicht mehr aufzuhalten. Fußball wird China vereinnahmen, es wird immer mehr auf der Straße gespielt. Dazu sollten Möglichkeiten geschaffen werden, Fußball zu spielen. Fußball übt eine große Anziehungskraft aus. Kein Kind kann sich dagegen wirklich wehren. Einen Ball zu bewegen übt für jedes Kind, auf der ganzen Welt, eine unheimliche Magie aus. Mit der ersten Ballberührung ist der Bann gebrochen.

Xinhua: Das heißt Fußball entwickelt sich von unten?

Vogel: So würde ich das sehen.

Xinhua: Selbst in Deutschland gab es vor ein bis zwei Jahrzehnten Nachwuchsprobleme, manche Vereine mussten im Jugendbereich Spielgemeinschaften bilden, um eine Jugendmannschaft in verschiedenen Altersklassen zu haben.

Vogel: Das lag sicher auch an der wachsenden Konkurrenz von Freizeitbeschäftigungen für junge Menschen und die neuen Möglichkeiten der Kommunikation untereinander. Ich denke der Fußball hat darauf reagiert und seine Angebote attraktiver gemacht. Wo es früher drei Dinge gab, gibt es heute 300.

Xinhua: Sehen Sie in Europa große Unterschiede in den Ausbildungssystemen?

Vogel: Das wichtigste ist – und das haben alle erkannt – über den Tellerrand hinaus zu schauen und immer neue Wege zu gehen. Manchmal aber ist man schlicht von einer besonderen Generation abhängig – wie Frankreich 1998 und 2002 oder zuletzt Spanien.

Xinhua: Viele sehen in den Nachwuchszentren und Internaten, die die Fußballklubs einführen mussten, einen Grund für den Erfolg.

Vogel: Das ist sicher ein Aspekt – für mich ist ein Weltmeistertitel oder ein derartiger Erfolg immer eine Summe von Dingen.

Xinhua: Trifft der Eindruck zu, dass im Fußball vieles immer jünger wird? Lässt sich das an vielen Spieler und Trainern ablesen? Teilweise tauchen Spieler mit 16 in der ersten Liga auf.

Vogel: Die Spieler erreichen auf Grund der besseren Ausbildung schneller ein höheres Niveau. Dazu ist es der Profifußball insgesamt, der sich mehr öffnet. Wo es früher hieß, ein Spieler muss sich hochdienen und erst einmal Leistung zeigen, gibt es jetzt die Tendenz zu sagen, dieser Spieler ist außergewöhnlich gut, den müssen wir fördern. Aber ich denke die Grenze vom Alter her ist erreicht, sonst hätten wir bald kindliche Erwachsene auf dem Platz– und das ist keine Sache, die ich für unterstützenswert halte.

Xinhua: Bayern München sagt man eine besondere Sieger-Mentalität nach, die sich im Vereins-Slogan „miasanmia“ ausdrückt.

Vogel: Diese Siegermentalität ist ein Teil des Ganzen, eingebettet in Tradition, ein familiäres Umfeld, Zusammenhalt, Loyalität und Treue. Das sind Begriffe, die diese Mentalität fördern.Der FC Bayern hat sich all das trotz seiner Größe und Erfolge erhalten, es ist sein Fundament. Was beim Stichwort Siegermentalität sicher eine Rolle spielt, ist der Fakt, dass wir immer ein bisschen mehr zu verlieren haben als andere. Bayern München hat den Anspruch alle Spiele zu gewinnen. Wenn ein Spieler all das verinnerlicht hat, dann könnte er einer wie Thomas Müller werden.

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