Xinhuanet Deutsch

Fußball darf nicht seinen Bezugspunkt verlieren 

German.xinhuanet.com | 19-05-2016 14:40:23 | Xinhuanet

Von Philipp Lahm

BEIJING, 19. Mai (Xinhuanet) --Ich habe als Kind bei der FT Gern nicht nur selber Fußball gespielt, sondern auch sehr oft meinem Papa zugeschaut, wenn er mit der ersten Mannschaft Spiele hatte. Eines, an das ich mich besonders gut erinnere, war das Aufstiegsspiel in die A-Klasse. Nach 90 Minuten und Verlängerung konnte die FT Gern in  einem packenden Elfmeterschießen das Spiel mit 5:4 für sich entscheiden. Die Freude war riesig und ich als sieben-jähriger Zuschauer war mindestens so glücklich und stolz auf "unseren Erfolg" wie die beteiligten Spieler. Ich habe mitgefeiert, mit meiner Apfelschorle angestoßen und bei einer Bratwurstsemmel das Siegesgebrüll und die schiefen, aber lauten Gesangseinlagen aus dem Vereinsheim gehört.

Am Wochenende habe ich mit dem FC Bayern den 26.Meistertitel des Vereins und unseren vierten in Folge gefeiert - vor und mit 75.000 Menschen live in der Allianz Arena am Samstag, am Sonntag auf dem Rathausbalkon in München mit tausenden Fans auf dem Marienplatz und insgesamt wahrscheinlich einigen Millionen Fans und Zuschauern vor Fernsehern, PCs, Laptops und Handys. Was sich beim ersten Meistertitel des FC Bayerns 1932 sicherlich noch niemand vorstellen konnte, ist heute selbstverständlich. Wir haben die Möglichkeiten durch Technik ein lokales Ereignis, über die Grenzen eines Stadions, einer Stadt und eines Landes hinaus zu übertragen. Auch ein brasilianischer, ein afrikanischer oder ein chinesischer FC Bayern-Fan kann so mit uns feiern, obwohl er tausende Kilometer entfernt ist.

Die Zauberworte heißen Digitalisierung und Globalisierung. Die Herausforderung, vor der der Spitzenfußball dabei in meinen Augen steht ist, beim stetigen Ausbau der Reichweite und aller positiven Aufhebung von Grenzen nicht jeden Bezugspunkt zu verlieren. Muss alles ständig weiter vermehrt, vergrößert oder optimiert werden?

Natürlich ist mein Ziel auf sportlicher Ebene nach dem vierten Meistertitel jetzt auch den fünften zu holen. Dieses stetige Erfolgsstreben im Training und Spiel ist der Kern des Leistungssports.

Aber Fehltritte sind für mich – ohne die Einzelfälle bewerten zu könne oder zu wollen- ein Beispiel dafür, wo Protagonisten des globalen Sports ihre ohnehin schon privilegierte Position überreizen und nicht mehr erkennen, wo es genug ist.

Denn auch wenn sich jeder Fußballprofi durch sein Talent und viel Eigeninvest durchgesetzt hat und sich die Position auf dem höchsten Niveau erarbeitet hat, verdanken wir erst der Unterstützung der Fans und dem Interesse der Zuschauer, dass wir mit dieser Leistung auch Geld und Ansehen verdienen können – aber als Vorbilder und Identifikationsfigur aus den eigenen Reihen und nicht als inszenierte Helden, die mit der Basis nichts mehr am Hut haben.

Am Ende des Tages hat nämlich ein Aufstiegsspiel in die A-Klasse und das Spiel um den deutschen Meistertitel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und auch auf unserer diesjährigen Meisterfeier waren die schiefen, aber lauten Karaoke-Auftritte einzelnen Spieler der unübertroffene Höhepunkt wie vor 25 Jahren manche spontane Einlage im Vereinsheim der FT Gern. In diesen Momenten verschmelzen Kreisklasse und Bundesliga. Diese Verbindung darf nicht verloren gehen, weil sie den Spitzenfußball erst legitimiert.

Mehr zum Thema:

Philipp Lahm: Fairplay ist der Job der Spieler

Im Fußball gibt es klare Regeln, die das Spiel für die Zuschauer nachvollziehbar machen und den Sportlern die Rahmenbedingungen für ihr Verhalten vorgeben. mehr...

Weitere Artikel
010020071360000000000000011100001353717881