Warum ist Merkels Flüchtlingspolitik schiefgegangen?
Von Jiang Feng
Deutschland ist mit dem ernsthaften Problem der Flüchtlinge konfrontiert. Frau Merkel hat nicht mehr viel Zeit, dieses zu bewältigen. Sie hat darauf gesetzt, dass sich die EU-Länder über die Lösung der Flüchtlingsfragen einigen sollten, um die Notlage zusammen durchzustehen, worauf die meisten Länder jedoch mit Ablehnung reagiert haben. Noch nie zuvor wie jetzt ist Deutschland so isoliert in der EU und von der EU so abgespalten. Sie hat ihre Landsleute aufgerufen, dem humanitären Geist zu folgen und auf einer Willkommenskultur gegenüber Hilfesuchenden zu bestehen. Jedoch wurden Deutschland und seine Bürger damit überfordert, und die Unzufriedenheit wurde immer lauter. Die „stärkste Frau“ des Jahres, die vor einem halben Jahr die Tür für die Flüchtlinge geöffnet hat und als „Mama Merkel“ gerühmt wurde, konfrontiert sich nun mit der größten Herausforderung in ihrem Amtsleben. Was hat sie denn falsch gemacht? Frau Merkel hat zumindest in den folgenden drei Aspekten einen Missgriff getan.
1. Von der Wirtschaftslage Deutschlands ausgehend, hat Merkel den Rat der Experten befolgt, der besagt, dass die Aufnahme der Flüchtlinge eine große Chance für die Entspannung der Bevölkerungsabnahme darstelle und Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung gebe, wobei die Dauer und der Schwierigkeitsgrad einfach vernachlässigbar seien.
Angesichts der großen Flüchtlingsmenge berieten die Experten zuversichtlich, dass es eine einmalige Chance für Deutschland sei, die wirtschaftliche Konjunktur durch Flüchtlinge zu stimulieren. Die Experten der OECD prognostizierten, dass die getroffenen Maßnahmen der Regierung für Flüchtlinge die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 2016 stark vorantreiben würden. Die Deutsche Bank rechnete auch damit, dass durch die Neuankömmlinge ein Beitrag zum deutschen Wirtschaftswachstum von ca. 0,25% geleistet werde. Die Wirtschaft unterstützt im allgemeinen Frau Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik und erwartet, davon zu profitieren.
Ein anderer Grund für die optimistische Einschätzung der Experten liegt daran, dass Deutschlands Geburtenrate zu niedrig ist und jährlich bis zu 300 000 Geburten fehlen. Mit der Zuwanderung der Flüchtlinge könnte dieses Defizit ausgeglichen werden. Außerdem sind die meisten Flüchtlinge unter 25 Jahren und haben eine starke Anpassungsfähigkeit. Wenn diese ausgebildet würden, könnten die benötigten Arbeitskräfte gewährleistet werden. Außerdem seien die Aus- und Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland dieser Aufgabe gewachsen. Darüber hinaus gibt es zurzeit in Deutschland mehr als 2 000 000 unbewohnte Wohnungen, darunter sind 600 000 Wohnungen verfügbar für die Flüchtlinge. Dies alles zeigt, dass Deutschland die Kapazität besitzt, die Flüchtlinge aufzunehmen.
Nicht zu erwarten war, dass manche erwünschten Maßnahmen wegen der Meinungsunterschiede in der Regierungskoalition nicht verabschiedet werden konnten. Bei der Durchführung der Maßnahmen mangelte es zwischen den verschiedenen Ebenen und Behörden an Kooperation. Damit wurden gute Chancen für die Lösung der Probleme mehrmals verpasst. Die Schwierigkeiten in der internen Kooperation wurden unterschätzt, während die Grenze der Aufnahmefähigkeit der Bürger überschätzt wurde, so dass keine funktionsfähigen Entscheidungen rechtzeitig zustande kamen. Fern von der Realität konnten die guten Wünsche nicht in Erfüllung gehen.
2. Angetrieben durch die Wertevorstellungen der Erlösung sieht sich Merkel moralisch verpflichtet, Menschenrechte zu verteidigen und die leidenden Flüchtlinge zu retten, wobei sie nicht mitberücksichtigt hat, dass eine Begegnung der Fremdkultur mit der Eigenkultur erhebliche Probleme mit sich bringt. Die „Kommandohöhen“ verwandelten sich in „Luftschlösser“, wenn sie zu fern von der Wirklichkeit gebaut wurden.
Wer Merkel kennt, weiß, dass sie aus einer evangelischen Pfarrerfamilie stammt. Überzeugt von der Vorstellung der Erlösung, besteht sie ungeachtet des Drucks aus dem In- und Ausland auf einer aufgeschlossenen Politik gegenüber den Flüchtlingen. Jedoch hat sie die kulturellen Konflikte zu gering geschätzt. Die meisten der Flüchtlinge sind moslemisch. Schon vor zehn Jahren wies ein Report der Regierung darauf hin, dass die Muslime gewalttätiger seien als andere Anhänger anderer Konfessionen. In den letzten Jahren waren immer mehr Stimmen gegen die befürchtete Islamisierung zu verzeichnen. Die Silvester-Übergriffe in Köln haben die Unzufriedenheit der Deutschen noch verstärkt. Immer mehr Bürger lehnen die Flüchtlinge ab. Viele soziale Eliten vertreten sogar die Meinung, dass die Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft ausgeschlossen sei. Statt dessen würden sie Deutschland eher ruinieren.
Unabhängig davon, wer Recht hat, finden die Aufnahmen der Flüchtlinge keine Zustimmung mehr in der Gesellschaft, und das ist die Tatsache, die man einfach nicht übersehen darf. Das Wort „Gutmensch“, mit dem diejenigen bezeichnet werden, die den Flüchtlingen helfen, wurde zum Unwort des Jahres 2015 gewählt. Das zeigt, dass Deutschland in Hinsicht auf die Flüchtlingsproblematik bereits gespaltener Meinungen ist. Der moralische Ansatzpunkt erweist sich in diesem Fall als ungeeignet.
3. Merkel hofft, dass sie die EU von den Erschütterungen durch die Einwanderung von Flüchtlingen abhalten kann, indem sie sich mit voller Kraft für die „europäische Lösung“ einsetzt. Da dieses Konzept von vielen Ländern abgelehnt worden ist, kam die „europäische Lösung“ nicht zustande. Damit wird dieses eigentlich alle Länder betreffende Problem jetzt ausschließlich zum Problem Deutschlands.
Als im letzten Sommer eine große Menge von Flüchtlingen nach Deutschland strömte, geriet Europa in eine humanitäre und moralische Notlage. In diesem kritischen Moment öffnete Merkel die Tür für die Flüchtlinge: Deutschland wurde das „heilige Land“ der Flüchtlinge und Merkel „Mama Merkel“ genannt. Aber die Willkommenskultur Deutschlands sorgt auch für große wirtschaftliche und moralische Belastung der anderen Länder auf der „Balkan-Route“. Manche Staats- und Regierungschefs betrachten die Einwanderung der Flüchtlinge als Einfall einer Fremdkultur und sie beklagen, dass die Willkommenskultur Deutschlands die Überfremdung der eigenen Kultur fördere. Das ist ein Grund dafür, warum Merkel auf großen Widerstand stieß, als sie mit der „europäischen Lösung “ die EU-Länder aufforderte, die Außengrenzkontrolle der EU zu verstärken, keine Obergrenze der Flüchtlingsaufnahme festzusetzen, die internen Grenzen der EU-Länder offen zu halten und die Flüchtlinge zu verteilen. Deutschland wurde damit isoliert. Sogar das Nachbarland Österreich wendet sich von Deutschland ab und ruft die Balkan-Länder auf, ein neues Konzept zu erarbeiten, um die Einwanderung der Flüchtlinge an ihren jeweiligen Grenzen streng zu kontrollieren.
Man muss eigentlich zugeben, dass Deutschland in vieler Hinsicht ein rationales und vernünftiges Konzept erarbeitet hat. Der führende Thinktank der Bertelsmann-Stiftung prophezeite, dass die Grenzkontrollen innerhalb der EU in den kommenden zehn Jahren einen wirtschaftlichen Verlust von mindestens 470 Milliarden Euro verursachen würden. Aber die anderen Länder wollten nicht auf Deutschlands „gute Worte“ hören. Deutschland wollte zusammen mit anderen EU-Ländern das Problem lösen, ist jetzt aber selber zu einem Problem der EU geworden.
Merkels „europäische Lösung“ ist vorläufig gescheitert, aber die Flüchtlingskrise eskaliert weiter. Die Flüchtlinge, die an der Grenze zwischen Griechenland und Makedonien stocken, könnten jederzeit eine humanitäre Katastrophe auslösen. Die weitere Entwicklung wird vielleicht dafür sprechen, dass Merkels Politik richtig ist – bloß eine „Richtigkeit in der Zukunft“. Im Gegensatz dazu ist die Gegenwart das Hauptanliegen der Bürgerschaft. Sie wollen unkontrollierte Flüchtlingströme stoppen, sie fordern lediglich Sicherheit. Allein die Rücksicht auf die Moral und Wirtschaft reicht nicht aus. Die Politiker müssen außerdem auf die Akzeptanz der breiten Massen im eigenen, bzw. in anderen betroffenen Ländern achten. Sonst bleiben es nur schöne Wünsche, die sich nicht durchsetzen lassen.
(Der Verfasser ist ehemaliger Gesandter-Botschaftsrat der chinesischen Botschaft in Deutschland und gegenwärtig Universitätsvorsitzender der SISU.)
(Quelle: de.shisu.edu.cn)
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